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                                 Sagen und Legenden aus der Heimat

 

                  Die Vier Fichten

    Parabel um die Familiengeschichte der Grafen von Ysenburg

 

Der höchste Gipfel des Büdinger Waldes, am Kreuzungspunkt der alten Gelnhäuser Straße, Wirtheimer Pfaffenweg und Rennstraße, trägt den Namen „Vier Fichten“. Wer nun allerdings nach vier Fichten sucht, der wird sie so nicht finden, denn dem Namen liegt eine von Josef Stark überlieferte Geschichte (eigentlich eine Parabel) zugrunde, die ich hier einmal nacherzählen möchte:

Im 30-jährigen Krieg war von den Linien des Hauses Isenburg nur noch eine übrig geblieben – Graf Wolfgang Ernst I. (1560–1633) regierte das Isenburger Land. Seine Söhne Wolfgang Heinrich (1588–1635) und Johann Ernst (1625–1673) beerbten ihn und teilten die Grafschaft auf in Isenburg-Birstein und Ysenburg-Büdingen.

 

Nach dem Tod von Johann Ernst von Ysenburg-Büdingen teilten die vier Söhne des Grafen – Johann Casimir (1660-1693) - Büdingen, Ferdinand Maximilian (1661-1703) - Wächtersbach, Georg Albrecht (1664-1724) - Meerholz und Karl August (1667-1725) Marienborn - auf den Rat ihrer Mutter, Maria Charlotte zu Erbach, das Erbe unter sich auf. Der Büdinger Wald allerdings musste ungeteilt bleiben, bis der Kaiser es erlauben würde. 1687 markierten die vier Grafen ihre Gebiete. Vom höchsten Punkt aus konnte nun jeder von ihnen auf seine Grafschaft sehen – an dieser Stelle pflanzte man vier Fichten.

 

Die vier Fichten wuchsen und entwickelten sich gut – aber plötzlich begann die Marienborner Fichte zu trauern, wurde welk und starb ab. Gleichzeitig wurde Erbprinz Karl Ernst schwer krank und verstarb 1717. Sein Vater schlug aus dem Baum ein Grabkreuz und die junge Witwe, Charlotte Amalie von Ysenburg-Meerholz, band aus den Zweigen einen Totenkranz und hing ihn daran. Bald darauf starb auch der Vater Karl August (1667-1725) und vererbte seinen Besitz an seinen Neffen in Meerholz.

 

Die drei verbliebenen Fichten standen weiterhin auf dem höchsten Punkt der Grafschaft, entwickelten sich und überdauerten Jahrhunderte, Kriege und Unwetter. Beinahe hatte man die alte Sage schon vergessen.

Um die Zeit der Weltkriege des 20. Jahrhunderts begann plötzlich auch die Meerholzer Fichte zu verdorren. Graf Gustav (1863-1929) bemerkte es auf einer Jagd und erzählte seiner Frau davon. Gräfin Thekla wusste, was das bedeutete, denn ihre Ehe war kinderlos geblieben. 1929 trug man Graf Gustav kinderlos zu Grabe – die morsche Fichte wurde vom Sturm umgeworfen.

 

Nun mussten die Marken wieder neu festgelegt werden – bei den verbliebenen zwei Fichten. „Alte Burschen!“ meinte Fürst Karl Gustav von Ysenburg-Büdingen (1875-1941). „Alte Burschen!“ scherzte Fürst Friedrich Wilhelm von Ysenburg-Wächtersbach (1850-1933). „Ich meine die Fichten“ – „Ich meine die Herren“ – das Gefolge schmunzelte. Aber die Büdinger Fichte zeigte bereits starke Risse und drohte zu stürzen. Beiden alten Herren war nicht zum Lachen, denn der Wächtersbacher Erbprinz war lange vor seiner Zeit verstorben und der Büdinger Fürst war kinderlos geblieben. So lastete nun die Last des Erbes auf dem jungen Wächtersbacher Erbprinzen Otto Friedrich (1904-1990), der 1936 von seinem Büdinger Vetter adoptiert wurde und als letzter Nachkomme aller vier Linien ein schweres Erbe antrat.

 

Von den ehemals vier Fichten gab es nur noch zwei, aber auch die Büdinger Fichte wurde bald morsch und stürzte ein. Man pflanzte zusätzlich vier neue Fichten – aber die gingen nacheinander alle vier ein. „Nadelholzmüdigkeit“ sagten alle befragten Forstmeister.

EINE Fichte steht seitdem auf den „Vier Fichten“ und trotzt Wind und Wetter.......

 

Diesen bronzenen Keiler bekam Fürst Otto Friedrich zu Ysenburg und Büdingen (+1990) von seinen vier Söhnen zum 80. Geburtstag geschenkt (Wolfgang Ernst, Ferdinand Heinrich (+1989), Christian Albrecht (+2003) und Sylvester). Er steht an der oben bezeichneten Stelle.

 

 

Die Widschwein-Statue in Lebensgröße ist von 4 Fichten umgeben,

wovon eine aber schon welk ist (ganz rechts). Anscheinend lebt die Parabel immer weiter.

 

*¹ = Josef Stark veröffentlichte diese Erzählung in:

      „Zwischen Vogelsberg und Spessart – Heimatjahrbuch des Kreises Gelnhausen“, 1959

 

Gudrun Kauck, Oktober 2008/12

 

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